Das verschwundene Jesuskind
Eine leicht bearbeitete Geschichte
von Catharina Bachem-Tonger
Es war einmal ein kleines Dorf
mit Landwirtschaft und Vieh und Torf.
Das Dorf war arm und unscheinbar,
wie das mit Dörfern halt so war.
Doch wenn die Weihnachtszeit gekommen,
ist eine Stimmung aufgekommen,
die man nur auf dem Lande findet,
wo Glaube Armut überwindet.
Auf eins war die Gemeinde stolz:
auf ihre Krippe ganz aus Holz.
Ein Kunstwerk hatte sie geschnitzt,
bemalt und im Detail geritzt,
ein jeder hatte beigetragen
seinen Teil – und konnte sagen:
„Wir schufen alle – Hand in Hand –
mit viel Geschick, Fleiß und Verstand
Maria, Joseph und das Kind,
die Hirten, Schafe, Esel, Rind,
das Königstrio und den Stern.“
Vom Umland, ja sogar von fern
kamen die Leute angereist
und staunten Bauklötze – wie’s heißt.
Das Dorf mit seiner Krippe war
zur Weihnachtszeit der große Star.
Gerad’ war Weihnachten vorbei.
Der Pfarrer ging in die Pfarrei,
als ihm der Küster melden musste,
weil er sich keinen Rat mehr wusste,
nachdem den Schreck er überwunden:
„Herr Pfarrer, Jesus ist verschwunden!“
Die Krippe war tatsächlich leer.
Der Pfarrer grübelt heftig. Wer
hat unser Christuskind gestohlen?
Der Küster meint ganz unverhohlen,
dass sich nur einer aus der Stadt
so kriminell verhalten hat.
Der Pfarrer wurd’ zum Detektiv,
manch’ Möglichkeit sein Hirn durchlief.
Er sprach nach langem Überlegen:
„Lass uns dem Dieb die Chance geben,
dass er den Christus bringt zurück –
und wir entfernen uns ein Stück!
Im Beichtstuhl nehme ich jetzt Platz,
von dort seh’ ich zum Krippenplatz.“
Der Küster knurrte was von „Keule“,
verschwand dann hinter einer Säule.
Sie warteten gut eine Stund’,
des Küsters Füße wurden rund,
als sie vor Spannung jäh erstarren:
die Kirchentür beginnt zu knarren,
dann Schritte, die nach vorne streben,
eine Gestalt, die Hände heben
im Mantel einen Gegenstand.
Die Männer sehen ganz gebannt,
wie jemand zu der Krippe eilt,
noch einmal kurz die Lage peilt,
das Christkind in die Krippe hebt
und dann sofort nach draußen strebt.
Der Pfarrer aus dem Beichtstuhl springt
und sichtbar um Beherrschung ringt.
Nie ist ihm so was widerfahren:
Der Nachbarsbub von 7 Jahren
erschickt ein kleines bisschen nur
und zeigt von Reue keine Spur.
„Mein Junge, sag’, was machst du bloß?
Ganz wörtlich ist der Teufel los,
wenn Christus jetzt verschwinden würde
und damit alle Hoffnung stürbe
der Christen auf der ganzen Welt!
Mein Sohn, was hast du angestellt?“
„Ein Fahrrad war mein großer Traum,
doch Mama sagt, das Geld reicht kaum
fürs täglich’ Leben – tut mir Leid.“
Doch war der Junge nicht bereit,
den Traum von Zweirad aufzugeben.
Beim Krippenkind wollt’ er erstreben
ein Rad – und machte einen Deal:
„Oh Gott, du kannst doch ziemlich viel.
Ich wünsch’ zu Weihnachten soooo sehr
ein Fahrrad – bitte zauber’s her!“
Und wirklich: unterm Tannenbaum
erfüllte sich ein Kindertraum.
Der Pfarrer stoppt den Redefluss,
weil er doch endlich wissen muss,
warum der Bub das Christkind nahm,
nachdem er doch das Rad bekam.
Der Junge ohne Scheu erzählt,
wie das Problem ihn hat gequält,
dass er dem Christkind dankbar war,
doch gleichzeitig ganz traurig war,
dass jedermann den Heiland sah,
doch der ihn nicht beim Radeln sah!
Er hat das Christkind ausgeliehen
und sicher hat es ihm verziehen,
dass plötzlich es mit Schwung gekrallt
und auf dem Fahrrad festgeschnallt
als Passagier das Zweirad zierte
und als Chauffeur der Bub fungierte.
Weil Dankbarkeit den Menschen adelt,
sind kreuz und quer sie rumgeradelt
rund um die Kirche, durch das Dorf,
über das Feld zu Moor und Torf.
Vom Trip mit seinem Gast aus Holz
erzählt der Junge voller Stolz:
„Dem Christkind hat’s ganz toll gefallen,
wir sind nur zweimal hingefallen!“
© Gedichte für jedermann/ -frau * Wolf-Henning Blum * Januar 2012